top of page

Rückblick

Leben wie der Lein

 

Zum Tod von Annegret Sonn

 

Fast schien es, als offenbare Annegret Sonn

auf ihrem letzten Weg all die Begabungen,

die ihr Leben und ihre Arbeit geprägt haben.

Die Menschen, die sie gekannt und geliebt

haben, die mit ihr gearbeitetund von ihr

gelernt haben, ließen auf der Trauerfeier

die vielen Talente dieser ungewöhnlichen

Krankenschwester noch einmal lebendig werden.

 

Annegret Sonn, 1950 geboren, ist eine Pionierin nicht nur der naturheilkundlichen Pflege. In der Fachwelt bekannt wird sie, die unter anderem auch Kinderkrankenschwester, Hebamme und Heilpraktikerin für Klassische Homöopathie ist, bereits Ende der siebziger Jahre. Als eine der ersten Pflegenden setzt sie sich für die damals in der ambulanten Pflege noch weitgehend unbekannte Dokumentation des Pflegeprozesses ein. Sie gehört außerdem zu einer Gruppe von Berliner Experten, die in der Krankenwohnung eine ideale Ergänzung zur ambulanten Pflege sehen. Annegret Sonns Publikationen in der Fachpresse und ihr berufspolitisches Engagement zeugen von ihrem hohen Anspruch an die professionelle Pflege, ihrem fundierten Wissen und ihrer internationalen Praxiserfahrung.

 

Ihre Liebe gilt den Heilpflanzen und deren medizinisch-pflegerischer Anwendung in Wickeln und Auflagen zum Wohlfühlen und Gesundwerden. Nach ihrer Zeit in der Gemeindekrankenpflege in Plieningen bei Stuttgart, arbeitet Annegret Sonn seit 1988 als freiberufliche Dozentin und entwickelt ein vielseitiges Seminarprogramm.

1999 gründet sie die LINUM-Schule für naturheilkundliche Methoden der Gesundheits- und Krankenpflege. Mehr als 60 beruflich Pflegende absolvieren hier eine Wickel-Fachausbildung.

 

 

LINUM zum Logo ihrer Schule zu machen, ist typisch für Annegret Sonns Bodenständigkeit und für ihre Liebe zum Detail. Linum ist der botanische Name für Lein. Die vielseitig genutzte Heil- und Kulturpflanze war auf der Schwäbischen Alb bis weit ins 19. Jahrhundert hinein für viele Menschen Lebensgrundlage. Und: Lein und Wickel gehören zusammen – als Leinsamenauflage und als Leinenstoff für Wickeltücher. Mit dem LINUM-Curriculum erfüllt Annegret Sonn ihren Anspruch, Pflegende darin zu unterstützen, eigenständig und eigenverantwortlich handeln zu können. Sie sucht dazu auch den kollegialen Austausch mit ExpertInnen in Österreich und der Schweiz. Auf dem Programm von LINUM stehen außerdem Heilpflanzenseminare, Kräuterwanderungen auf der Alb und die eigene Herstellung von Salben und Ölen.

 

Zusammen mit FORUM SOZIALSTATION startet Annegret Sonn 1988 die Kolumne „Heilkunderbunt“ mit Informationen über nat ürliche Methoden der Gesundheitsund Krankenpflege, deren Autorin sie bis Ende 2002 bleibt. In über 70 Beiträgen beschreibt sie detailliert in Wort und Bild erprobte Anwendungen von Wickeln und Auflagen. Zeit ihres Lebens kämpft sie dafür, natürlichen Hausmitteln einen Platz in der professionellen Pflege einzuräumen. In einem Interview mit FORUM SOZIALSTATION sagt sie 1996: „Wir brauchen mehr Vergleichsstudien, damit Pflege mit natürlichen Heilmitteln nicht belächelt wird.“

Ihr Vorhaben, ihre LINUM-Schule einer Stiftung zu zuführen, hat Annegret Sonn nicht mehr zu Ende bringen können. Ihren Wunsch, auf diese Weise naturheilkundliche Pflege erforschen und ihre Wirkung wissenschaftlich nachweisen zu lassen, verfolgt jetzt ein Gruppe von LINUMAbsolventinnen. Auch ihr Buch „Heilpflanzen in der Pflege“, das sie zusammen mit der Freiburger Expertin Ursel Bühring verfasst hat, und das erst jetzt im Herbst erscheint, konnte sie nicht mehr vollendet sehen. Ausgestattet mit schwäbischem Humor, offen und dialogfähig, eigensinnig und einfallsreich, professionell und beharrlich – mit dieser Mischung hat Anneget Sonn ihr Wissen an Pflegende weitergegeben. Viele von ihnen haben sich auf dem Friedhof in Plieningen mit Sonnenblumen und Leinsamen von ihr verabschiedet. Menschen, die verstanden haben, was Annegret Sonn mit Pflanzen und besonders mit dem Lein verband: sehr zart und äußerst robust zugleich zu sein.

 

Uschi Grieshaber

 

erschienen: Forum Sozialstation Nr. 124 / Oktober 2003

bottom of page